Self-Reliant Diver - Wieso, Weshalb, Warum?

Posted on Wednesday, Feb 1, 2023
Beim Tauchen wird ja eigentlich fast immer mindestens zu zweit getaucht, Solo-Tauchen hingegen wird von Sakrileg bis Gefährlich angesehen. Aber stimmt das immer? Und ist self-reliant das Gleiche, wie Solo-Tauchen? Darüber und mehr unterhalten wir uns mit unserem Gast Simone Ueberwasser.

Show Notes

Disclaimer: Die in diesem Podcast getätigten Aussagen spiegeln lediglich die Meinungen der Produzenten wieder. Obwohl wir die Aussagen im Podcast reflektiert und nach Möglichkeit auf der Basis wissenschaftlicher und technischer Standards treffen, bleibt die verantwortungsbewusste Nutzung dieser Informationen dem Hörer überlassen! Taucht nicht über eure eigenen Grenzen und der eurer Buddies! Haltet euch an eure Zertifizierung und besucht praktische Trainings und Kurse, um eure taucherischen Fähigkeiten zu verbessern.

In der aktuellen Folge besuchen Martin und Jan Simone Überwasser. Simone war damals schon die Instruktorin in unserem Self-Reliant Kurs. Grund genug, das Thema mit Simone zu diskutieren, die über viele Jahre Erfahrungen gesammelt hat. Simone taucht seit Beginn der 1990er Jahre und hat mit dem Kaltwassertauchen in den Niederlanden angefangen.

Warum haben wir das Buddysystem?

Es geht dabei meistens um den Gedanken von Sicherheit und Redundanz: Der Buddy liefert die redundanten Systeme, welche an meiner Ausrüstung nicht doppelt vorhanden sind. Außerdem liefert der Buddy ein zusätzliches Paar Hände und Augen. Beispielsweise beim Hängenbleiben an einem Hindernis oder beim Buddycheck vor dem Einstieg. Außerdem ist der Buddy ja auch eine soziale Komponente: Das Reden über den Tauchgang macht halt auch manchmal genau so viel Spaß, wenn man gemeinsam bei einer Pizza sitzt.

Welche Vorteile hat das Solo-Tauchen?

Jan ist tatsächlich gar nicht mehr so häufig Solo unterwegs, hat aber häufig die notwendige Ausrüstung trotzdem dabei: Das entspannt die Situation, wenn sich ein Tauchpartner doch nicht mehr wohl fühlt. Denn dann ist keiner gezwungen, dem Buddy “zuliebe” ins Wasser zu gehen. Außerdem ist es im Regelfall kein Drama, wenn man unter Wasser getrennt wird. Auch ist die Verlockung nicht gegeben, ins Wasser zu gehen, weil gerade nur heute der Buddy Zeit hat.

Bei Fotografieren hat es Vorteile, alleine zu gehen: Niemand muss stundenlang auf einen warten und außerdem will mein Buddy (wenn auch Fotograf) nicht zwingend das gleiche Motiv ablichten…

Equipment Tests und Übungstauchgänge kann man auch super alleine machen, sofern das verantwortlich geschieht. Das setzt natürlich eine gewisse Eigenverantwortung voraus, um zu entscheiden, wann es aus Sicherheitsgründen den Buddy braucht. Wenn niemand zuschaut, ist auch der Druck beim Üben weg…

Und wenn man ganz ehrlich ist: Wenn man als Instruktor mit einem Schüler unterwegs ist, dann ist man auch oft “Solo” unterwegs. Der Schüler wird oft nicht mitkriegen, dass ein Problem vorhanden ist und ist auch nicht zu Rettungsmaßnahmen qualifiziert. Und spätestens, wenn man dann noch kurz die Boje holt oder den Bleigurt aufliest, dann ist man ganz allein.

Auch mit normalem Buddy kann man “solo” sein: Wenn der Buddy unerfahren ist oder das Skillniveau nicht passt, dann muss man eine problematische Situation auch alleine in den Griff kriegen.

Die eigenen Skill helfen außerdem dabei, nicht selber zum Problem zu werden und in erster Instanz keine Hilfe von extern zu benötigen. Hier muss man bedenken: Wenn man Unterstützung von einem recht unerfahrenen Buddy benötigt, dann kann man hiermit unter Umständen eine Kaskade von Reaktionen triggern. Diese können in der letzten Instanz zu völlig anderen Problemen führen.

Ein Erfahrungsbericht von Jan:

Im Urlaub wurde mir ein fremder Buddy zugeteilt. Beim Tauchgang stellen wir plötzlich auf 35 Meter fest, dass der Buddy fast keine Luft mehr hat. Der Grund: Ohne Sehkorrektur war das Finimeter nicht mehr abzulesen. Der Buddy steigt mit dem Divemaster zügig auf, ich bleibe alleine auf Tiefe zurück. Aufgrund der zusätzlichen Orientierungszeit ende ich mit obligatorischen Dekostopps, welche ich dann am Ende alleine absitze… Daher muss ich mittlerweile gestehen, dass ich zum Teil einen geplanten Solotauchgang einer erschwerten Buddy Situation vorziehe…

Ein paar Argumente gegen das Solotauchen:

Nicht immer sind die Probleme durch das Tauchen bedingt. Man kann unter Wasser einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt haben. In diesem Fall verschwindet man still und leise - kein Buddy ist da, um einen an Land zu ziehen. Statistisch gesehen enden jedoch solche Zwischenfälle aus einer Grunderkrankung häufig auch mit Buddy tödlich und oftmals bringen sich die Tauchpartner bei den Rettungsversuchen selber in Gefahr.

Bei Problemen mit dem Atemgas, gerade im Bereich des Rebreathers, sind Situationen denkbar, bei denen die falsche Gasmischung zum Krampfanfall oder zur Narkose führt. In diesen Situationen wird eine Eigenrettung kaum möglich sein. Kritiker werden hier anbringen: Grunderkrankungen können genauso beim Autofahren zum Problem werden. Hier wird niemand argumentieren, nur noch mit Beifahrer zu fahren.

Gerade im Bereich der Rebreathertaucher besteht ein Vorteil des Buddies darin, dass man extern beobachtet wird und bei auffälligem Verhalten vom Buddy “ins Bailout geschimpft” wird. Das funktioniert allerdings auch nur mit Buddies, die einen gut kennen und außerdem qualifiziert genug sind, sich an der richtigen Stelle zu melden.

Ist Solotauchen jetzt o.k. oder nicht?

Wir halten es hier mit Reinhold Messner: “Das Können ist des Dürfen Maß!” Solotauchen ist dann in Ordnung, wenn es verantwortungsvoll und vernünftig praktiziert wird. Gewisse Risiken sind nicht völlig auszuschließen, bei redundanter Ausrüstung kann aber das Restrisiko minimiert werden. Außerdem muss ich natürlich mit meiner Ausrüstung vertraut sein und auch meinen Kopf im Griff haben, um in den entsprechenden Momenten ruhig handeln zu können.

Ein Erfahrungsbericht von Simone:

Simone war beim Solotauchen im Zugersee unterwegs. Sie ist am Flossenschwimmen und merkt auf einmal, dass sie nicht mehr vom Fleck kommt. Das fühlte sich im ersten Moment an wie eine starke Strömung. Es dauerte einen Moment, bis die Erkenntnis kam: “Ich muss hängengeblieben sein.” Jetzt gilt es, einen ruhigen Kopf zu bewahren. Ein Umdrehen führt in der Regel nur zu stärkerem Verhängen. Also lieber rückwärts schwimmen. Durch gezieltes Schwimmen in verschiedene Richtungen war die Leine dann zu lösen.

Self-Reliant vs. Solo Tauchen

Der Kurs wird ganz bewusst als “Self-Reliant” bezeichnet: Es geht nicht darum, alleine unterwegs zu sein. Vielmehr wird der Taucher dazu ausgebildet, unabhängig zu sein und keine fremde Hilfe zu benötigen. Im Kurs wird viel Wert darauf gelegt, die Wichtigkeit des Buddy Systems zu betonen und den Buddy mehr schätzen zu lernen.

Was sind die Faktoren, welche man beachten muss, wenn man “Self-Reliant” tauchen geht? Nicht nur das Tauchen alleine, sondern auch der Ein- und Ausstieg können gefährlich sein. Wenn man ausrutscht, sich das Bein bricht und dann beschwert mit der eigenen Ausrüstung halb im Wasser liegt, dann kann es lange dauern, bis der nächste Passant zufällig vorbei kommt. Und in dieser Zeit kann es auch recht kalt werden. Etwa 10 Minuten können ausreichen für eine markante Unterkühlung. Deshalb kann es Sinn machen, den Tauchplatz entsprechend auszuwählen.

Auch Leinen und Angelleinen können zum Problem werden: Deshalb muss ich mich fragen, ob ein Tauchplatz mit vielen Angelleinen für mich alleine gut geeignet ist. Will ich mich wirklich alleine zwischen ein paar Felsen klemmen, um den Fisch zu fotografieren? Oder ist mir das zu riskant?

Die Tauchgangsplanung muss ich auch entsprechend anpassen: Ich muss meine Tiefe überdenken und mehr Reserven in Gas und Nullzeit einplanen. Jeder Taucher muss sich selbst die Frage stellen, wie tief er alleine tauchen möchte. Jan zieht diese Grenze aktuell für sich auf 20 Metern. Der Grund dafür liegt darin, dass in dieser Tiefe die meisten Gasmischungen recht risikoarm zu atmen sind. Die Auswirkungen der Stickstoffnarkose sind in dieser Tiefe gering und eine lange Nullzeit zu erwarten. Das lässt die Option eines Notaufstiegs offen. Ältere Taucher führen hier gerne die Längen-Regel an: Man soll nur so tief tauchen, wie man im Hallenbad in der Länge tauchen kann. Das lässt die Option offen, einen Notaufstieg zu machen. Dieses Prinzip findet sich an den Ansätzen auch in vielen Kursen wieder, wenn Streckentauchen ohne Atemgas gefordert wird.

Wie ist das mit der Luftversorgung?

Beim Self-Reliant Tauchen muss natürlich eine redundante Luftversorgung mitgeführt werden. Der zweite Atemregler zählt hierbei nicht, da ja das Gas aus der Flasche entweichen kann. Verschiedene Optionen sind möglich: Simone und Martin bevorzugen beide, im Sidemount zu gehen. Jan war und ist seit jeher mit einer Stage unterwegs: Ehemals mit deiner Monoflasche auf dem Rücken, seit einiger Zeit auch mit dem Rebreather und einer Stage-Flasche als Bailout.

Für Jan waren die Argumente für eine Stage-Flasche klar: Die Investition in neue Ausrüstung ist gering und die Prozedere bleiben zum “normalen” Tauchen recht identisch. Martin hat zum Doppelgerät ein gespaltenes Verhältnis und ist deshalb im Sidemount unterwegs. Simone taucht normalerweise lieber im Doppelgerät. Alleine ist sie aber im Sidemount unterwegs: Alle Ventile sind schnell erreichbar und der Einstieg ist einfacher.

Wenn Simone alleine im Doppelgerät unterwegs ist, dann ist allerdings die Brücke (Manifold) geschlossen, damit der Gasverlust ggf. gering ist. Die Brücke wird dann ggf. kurz geöffnet, um den Druck anzugleichen. Die Drucksender sind elektronisch und mechanisch an beiden Flaschen vorhanden. Die elektronischen Drucksender werden oft kontrovers diskutiert, sind allerdings mittlerweile sehr zuverlässig geworden. Martin verwendet mittlerweile nur noch Sender für das Tauchen.

Unsere Folge zum Thema “Doppelgerät vs. Sidemount" findet ihr übrigen HIER. Auch ein Doppelgerät kann eine gute Lösung für Self-Reliant Tauchgänge sein, wenn der Valve Drill zügig funktioniert. Wenn man immer mit Stage unterwegsist, dann kann dies auch eine gute Lösung sein. Am sichersten ist es, wenn ich meine Ausrüstung kenne und regelmäßig verwende.

Wichtig ist immer auch der Kopf: Ich tauche am besten so, wie ich mich wohl fühle…

Schneidwerkzeug ist ein Thema, dass man überdenken sollte: Es gibt verschiedene Varianten: Line Cutter, Messer gewellt oder mit glatter Klinge, stumpf oder spitz oder auch Scheren. Wichtig ist es, mehrere verschiedene Tools verfügbar zu haben. Diese müssen allerdings auch angemessen sein für den Job. Ein Line Cutter ist optimal für kleine Angelleinen, ein großes Tau oder Kabel werde ich allerdings mit einer Schere besser durchtrennen können. Das muss ich mir vor dem Tauchgang überlegen.

Eine Backup Maske ist ein absolutes Must-have! Ein Fallstrick dabei: Im Idealfall ist die Backup Maske genauso gut wie die primäre. So vermeidet man Stress in einer sowieso unguten Situation. Eine Backup Maske funktioniert besser, wenn sie nicht zusätzlich beschlagen ist. Deshalb am besten beide Masken vor dem Tauchgang behandeln. Wenn man das rechtzeitig macht, dann trocknet das Anti-Fog-Mittel (um nicht zu sagen: der Rotz) etwas an und hilft auch nach einem Maskenwechsel noch.

Ein alternativer Auftriebskörper ist dann wichtig, wenn das BCD ohne Gasversorgung ist. Dann kann das manuelle Aufblasen aus der redundanten Versorgung eine Lösung sein. Wenn der Auftriebskörper allerdings komplett versagt, dann muss eine andere Lösung her. Der Trocki sollte im Normalfall nicht als Auftriebskörper dienen, kann allerdings in solchen Fällen durchaus genutzt werden. Wichtig ist es, dass ich diesen dann auch aufblasen kann. In vielen Konfigurationen ist dies z.B. mit einem geschlossenen Flascheventil nicht mehr möglich. Auch eine Boje oder ein Hebesack kann im Notfall als Auftriebskörper verwendet werden und auch als Hilfsmittel zur Buddy Rettung verwendet werden. Dafür ist eine geschlossene Boje in der Regel besser geeignet, da das Luftvolumen an der Oberfläche nicht verloren geht. Gerade, wenn man im Nassanzug unterwegs ist, muss man sich darüber Gedanken machen.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist die Navigation unter Wasser. Alleine sollte ich mir zu jedem Zeitpunkt bewusst sein, in welche Richtung ich an Land zurückfinde und auch in der Lage sein, diesen Kurs nach Kompass zu schwimmen. Die Sicht geht in vielen Situationen schnell verloren, ohne dass ich daran selber Schuld sein muss.

Woran erkenne ich, dass ich bereit bin für einen Self-Reliant Kurs?

Zuerst sollte man sich unter Wasser sicher fühlen. Dazu gehört es, die eigene Tarierung im Griff zu haben und die Basic-Skill (SMB, Maskenwechsel) sicher durchführen zu können. Man sollte keine Angst vor den Übungen haben. Ggf. kann ein zusätzlicher Tauchgang zum Training vorneweg helfen. Die verschiedenen Verbände stellen außerdem unterschiedliche eigene Anforderungen an die Teilnehmer. Ein Checkdive vor dem Kurs ist bei den meisten Organisationen verbindlich.

Zusammenfassend kann man sagen:

Self-reliant ist nicht gleichbedeutend mit Solotauchen. Es geht auch darum, sich selbst auf eventuelle Situationen vorzubereiten und die eigenen Fähigkeiten kennenzulernen. Die Frage, ob man alleine tauchen möchte, kann nur jeder für sich selbst beantworten. Es gibt Argumente in beide Richtungen. Self-Reliant Tauchen ist in vielen Situationen ein gutes Tool. Bspw. wenn man sich in der Gruppe verliert. Wenn man verantwortlich alleine tauchen gehen will, muss man zwingend seine Skill beherrschen, die richtige Ausrüstung vorhalten und eine gute Risikoabwägung vornehmen. Die eigene Ausrüstung muss dem Zweck angemessen sein. Self-Reliant Tauchen geht über die Grenzen des normalen Sporttauchens hinaus und beinhaltet verschiedene Überlegungen aus dem technischen Tauchen. Man muss mitdenken und aufmerksam sein.