Blasenmodelle

Posted on Monday, Jul 3, 2023
Nachdem wir in der letzten Folge die Sättigungsmodelle näher betrachtet haben, ist es in dieser Folge Zeit sich den Blasenmodellen zu widmen. Von Pyle- und Deep Stops über RGBM und VPM geht die Reise zur Frage: Wie tief sollte Die Dekompression beginnen und was passiert, wenn wir tiefer anfangen Stops zu machen - und ist das Blasenmodell jetzt der Weisheit letzter Schluss?

Show Notes

Disclaimer: Die in diesem Podcast getätigten Aussagen spiegeln lediglich die Meinungen der Produzenten wieder. Obwohl wir die Aussagen im Podcast reflektiert und nach Möglichkeit auf der Basis wissenschaftlicher und technischer Standards treffen, bleibt die verantwortungsbewusste Nutzung dieser Informationen dem Hörer überlassen! Taucht nicht über eure eigenen Grenzen und der eurer Buddies! Haltet euch an eure Zertifizierung und besucht praktische Trainings und Kurse, um eure taucherischen Fähigkeiten zu verbessern.

Die vorhergegangenen Folgen unserer Reihe zur Dekompression findet ihr hier.

Was hatten wir in den vergangenen Folgen festgestellt?

In der vergangenen Folge hatten wir uns über Sättigungsmodelle, M-Werte und viele andere Bestandteile der Dekompressionsmodelle unterhalten. Die Hypothese der Sättigungsmodelle ist es, dass beim Auftauchen die im Gewebe gelösten Inertgase wieder aus dem Körper raus müssen. Das kann langsam und kontrolliert geschehen durch Abatmen. Beim zu schnellen Aufstieg können Gasblasen entstehen und eine Dekompressionserkrankung entstehen lassen. Um eine Entstehung der Blasen zu verhindern, sollte man den Druck langsam reduzieren und Zeit für ein kontrolliertes Abatmen zu lassen. Der M-Wert ist die individuelle pro Gewebe zulässige Übersättigung, bei der noch keine Probleme entstehen sollten. Das Problem: Das Ganze ist eine statistische Vorhersage, um das Risiko auf ein geringes Maß zu senken. Außerdem scheint das Ganze auch nicht zu funktionieren, denn jeder Taucher produziert am Ende eines Tauchganges ein gewisses Maß an Blasen. Welche alternativen Ansätze zum Sättigungsmodell gibt es? Ein alternativer Ansatz sind die Bubble-Modelle, welche anders funktionieren und einen alternativen Ansatz des Modells bilden. Dabei beschäftigt sich das Modell nicht mit den gelösten Gasen, sondern versucht, das Blasenwachstum zu beeinflussen. Dabei geht man davon aus, dass der Körper ein gewisses Maß an Blasen ohne Beschwerden tolerieren kann. Das Blasenmodell versucht, das Blasenwachstum so zu modellieren, das das Blasenvolumen unterhalb des kritischen Wertes bleibt.

Wie sind Blasenmodelle entstanden?

Um 1960 entstanden durch Brian Hills die ersten Forschungsgrundlagen zum Blasenwachstum. Eine Arbeitsgruppe (Val Hemplemann & Tom Henessy / David Yount) bauten aus diesen Grundlagen später das erste Blasenmodell. Die Grundidee ist es, dass Blasen an sog. Blasenkernen (welche schon im Körper besehen) wachsen. Ein weiterer Faktor bei der Entstehung der Blasenmodelle waren Einzelfallberichte von Tauchern, die beim Einhalten von tiefen Zwischenstopps weniger körperliche Ermüdungssymptome verspürten. Bekannt sind z.B. die Berichte von Richard Pyle, einem Fischforscher. Dieser machte bei Forschungstauchgängen tiefe Stopps, um die Schwimmblasen von Fischen zu entleeren. Dementsprechend wurden die tiefen Stopps eines Blasenmodells auch lange als “Pyle-Stops” bezeichnet. Auch der Begriff des “Deep-Stops” ist gebräuchlich, wobei der Begriff schwer zu fassen ist. Schließlich hat jeder Tauchgang einen “tiefsten Stop”… Die Frage ist also: Wie tief ist der tiefste Stop? Bei den ersten “Pyle-Stops” war das üblicherweise die habe Tiefe zum tiefsten Punkt, was deutlich unterhalb der Vorhersage nach Sättigungsmodellen lag. Verschiedenste Methoden haben sich im Laufe der Zeit für Deep-Stops ergeben. Das Bestechende: Bei der Berechnung von Deko-Stops nach Blasenmodellen ergeben sich üblicherweise kürzere Deko-Stops in der Summe bei gleichzeitig mehr Grundzeit.

Das “Zwei-Phasen-Modell”

Wenn man ein Sättigungsmodell und ein Blasenmodell kombiniert, erhält man ein “Zwei-Phasen-Modell”, welches sowohl die gelösten Gase als auch die Blasenformation kontrollieren kann. Das Modell kontrolliert auch hier die Entstehung des freien Gasvolumens, mit dem Ziel, dieses unterhalb eines kritischen Wertes zu halten.

Wie beeinflusst ein Blasenmodell das Wachstum von Blasen?

An einer Gasblase wirken im Wesentlichen drei Kräfte: Der Gasdruck von innen gegen die Blasenwand, der Umgebungsdruck von außen auf die Gasblase und die Wandkräfte am Übergang von Gas zu Flüssigkeit. Je größer die Gasblase wird, desto mehr verschieben sich diese Kräfte und die Blase wächst einfacher und schneller. Kleine Blasen hingegen haben die Tendenz, kleiner zu werden oder sich sogar aufzulösen. Modulierend wirkt hier der Umgebungsdruck, welcher beim Tauchen von der Tiefe bestimmt wird. Beobachten kann man diesen Effekt auch an einem Glas Bier: Die kleinen Blasen verschwinden und die großen wachsen weiter. Dabei ist der Druckunterschied im Bierglas eher gering. Entsprechend kann ich als Taucher beim Tauchen durch die tiefen Stopps die Blasen klein halten und dafür sorgen, dass diese nicht weiter wachsen oder sich sogar wieder auflösen.

Was sind die klassischen Blasenmodelle?

Welche Modelle verwendet werden können, hängt vom Computer ab. Die bekannten Modelle sind z.B. RGBM (Reduced Gradient Bubble Model) ist ein proprietärer Algorithmus auf Suunto Computern. Hier handelt es sich um ein Zwei-Phasen-Modell, das gerade bei flachen Stopps auf einen Neo-Haldanishen Ansatz zurückgreift. Der Nachteil: Auch wenn es Skripte gibt, die den Ansatz in den Grundzügen erklären, sind die Formeln zum Modell nicht öffentlich zugänglich und somit schlecht nachzuvollziehen. VPM (Varying Permeability Model) ist in verschiedenen Varianten vorhanden. Die Variante A rechnet eher mit den isolierten Blasenkräften. Die Weiterentwicklung in der Variante B berechnet die Blasengröße präziser. Die Variante B/E ist für den Einsatz unter extremeren Bedingungen entwickelt worden.

Was ist besser? Sättigungs- oder Blasenmodell?

Es gabe eine Phase, in der waren Blasenmodelle “der heiße Scheiß” und total in. Das hat sich mittlerweile relativiert und viele Taucher sind zu den Sättigungsmodellen zurückgekehrt. Das hat auch ein bisschen was mit Mode zu tun ;-) Verschiedene Forscher haben versucht herauszufinden, welcher Algorithmus “besser” ist. Häufig zitiert wird in diesem Zusammenhang eine Studie der NEDU (Navy Experimental Diving Unit), welche im Druckkammerexperiment die DCS Rate bei Sättigungs- und Blasenmodellen für gleich lange Tauchgänge verglichen hatte. Dabei war in der Teilnehmergruppe im Blasenmodell eine markant erhöhte DCS-Rate festgestellt worden. Aus diesen Ergebnissen sind viele Taucher wieder zurückgekehrt zu den guten alten Sättigungsmodellen. Die Rate an DCS wird in der Theorie damit erklärt, dass während des tiefen Stops die langsamen Gewebe weiter aufsättigen und dann später während den kurzen, flachen Stops nach Blasenmodellen nicht die Zeit zum Entsättigen haben. Dieses Phänomen lässt sich nachrechnen und auch im Modell darstellen. Hier existiert allerdings auch eine Limitation der Studie: Verglichen wurden zwei Modelle miteinander. Die heutige Realität sieht allerdings so aus, dass in den meisten Fällen ein Sättigungsmodell getaucht wird und trotzdem tief(ere) Stops gemacht werden. Bei diesem Ansatz kompensiere ich allerdings die tiefe, fortgesetzte Aufsättigung der langsamen Gewebe durch einen längeren, flachen Stop später. Hierdurch wird das Problem evtl. kompensiert und der Tauchgang insgesamt konservativer. Die Studie zeigt also kein Ergebnis “gegen tiefe Dekostops”. Das Problem ist also genau genommen das Versprechen von Blasenmodellen: “Weniger Dekompressionszeit durch tiefere Stops”, welches so nicht mehr haltbar erscheint.

Eine weitere Studie gab es hierzu von Mark Powell in Kooperation mit DAN: Hier wurden Deep-Stops und flache Stops, beide im Rahmen eines Sättigungsmodells verglichen und hinterher die reale Blasenlast im Ultraschall gemessen. Das Ergebnis: Im Median produzierten beide Tauchprofile sehr ähnliche Blasenmengen. Lediglich die Verteilung der Blasen war unterschiedlich: Beim Tauchprofil mit tiefen Stops schienen die Gasblasen später und gleichmäßiger zu entstehen und bei Tauchprofilen mit schnellem Aufstieg und flachen Stops eher zu eine früheren Zeitpunkt nach dem Auftauchen. Ist das jetzt gut oder schlecht? Das hängt mit Sicherheit sehr individuell vom Taucher und dessen Verhalten ab. Dazu mehr in der nächsten Folge.

Sollte man noch Deep-Stops machten und Blasenmodelle tauchen?

Eine verbindliche Antwort auf der Basis von Studien kann man einfach nicht geben. Blasenmodelle sind aktuell eher “out”, wobei die Studienlage hierzu eher dünn ist. Die Experten auf dem Gebiet der Dekompression empfehlen aktuell eher keine sehr tiefen “Deep-Stops” mehr und zumindests in der Erzählung heißt es, dass sogar Richard Pyle keine “Pyle-Stops” mehr macht ;-)

Das Sättigungsmodell auf Deep-Stops modifizieren…

Auch diejenigen von uns, die mit einem Sättigungsmodell tauchen, können dieses auf Deep-Stops einstellen. Das funktioniert über die Gradientenfaktoren. Die Gradientenfaktoren haben ihren Ursprung in der Überlegung, ein Sättigungsmodell an die tiefen Stops des Blasenmodells anzugleichen. Die Gradientenfaktoren geben den zulässigen Anteil der maximal erlaubten Übersättigung, also des M-Wertes, an. Es handelt sich um eine Prozentzahl.70% bedeutet also, dass ich mich maximal zu 70% an den M-Wert des aktuell führenden Gewebes annähern kann. Um die Dekompression noch präziser zu steuern, werden die M-Werte als Zahlenpaar in der Form “GFlow” / “GFhigh” angegeben. Der GF “high” ist dabei der Prozentteil der erlauben Übersättigung beim Auftauchen. Er beeinflusst auch das Ende der Nullzeit ohne obligatorische Stopp. Der GF “low” gibt den auf Tiefe erlaubten prozentualen Anteil des M-Wertes an und regelt somit, wie tief die Dekompressionsstops einzuhalten sind. Die GF 50/80 sagen also aus, dass ich inder Tiefe maximal 50% des M-Wertes erreiche und beim Auftauchen maximal 80% des M-Wertes übersättigt bin. Durch einen niedrigen GFlow (also GFlow/GFhigh) zwingt man den Computer in der Dekompression zu tieferen ersten Stops. Das spielt übrigens nur eine Rolle, sobald man sich außerhalb der Nullzeit bewegt. Wann diese überschritten wird, hängt zunächst nur am GFhigh. ;-) Ausserdem kann ich somit zusätzliche Sicherheitsmargen einbauen. Theoretisch kann ich den Algorithmus auch aggressiver machen und 120% einstellen. Somit bin ich 20% über den originalen M-Werten. Ob man das will, ist dann eine ganz andere Frage ;-)

Was für Gradientenfaktoren sollte man denn jetzt tauchen?

Die Frage nach den Gradientenfaktoren ist eine hochgradig individuelle, die letzten Endes jeder Taucher für sich selber beantworten sollte. Dabei müssen verschiedene individuelle Faktoren und auch die aktuelle Fitness und tagesform berücksichtigt werden. Expertenempfehlungen gehen aktuell eher dazu hin, den GF low bei 40 oder höher zu belassen. Im Bereich des GF high sind Werte von 70-80% durchaus bei vielen Tauchern gängig. Auch andere Faktoren muss ich berücksichtigen: In der Höhle kann es sein, dass mir die geologische Struktur den Dekostop aufdiktiert und bei sehr kalten Wasserbedingungen will ich evtl. schneller aufsteigen und meinen Dekostop im warmen Wasser absitzen. Martin und Jan verwenden Ihre GF beide individuell unter Berücksichtigung der lokalen Bedingungen. Jan taucht im Kaltwasser eher konservative 30/70 und wechselt im Warmwasser und bei guter Leistungsfähigkeit zu 50/80. Martin taucht meistens einen GF low von 50 und macht den markanten Unterschied beim GF high. Hier variiert er von 70 - 85 sehr tagesformabhängig. Natürlich legen wir uns bei gemeinsamen Tauchgängen vorher fest und tauchen meistens den konservativsten vorgeschlagenen GF.

Sicherheitsmarge beim Bubble-Modell

Auch ein Blasenmodell am Computer kann ich mit zusätzlicher Sicherheitsmarge versehen. Hier redet man vom Conservativismus. Dieser wird in Werten von -2 bis +2 eingestellt. 0 ist meistens die Voreinstellung. Zu beachten ist, dass dass der Hersteller schon bei geringen Risikofaktoren konservativere Werte empfiehlt. Anhand der Tabelle von Suunto kann sich jeder Taucher selber einschätzen:

  • -2 (P-2): Ideal conditions, excellent physical fitness, highly experienced with a lot of dives in the near past.
  • -1 (P-1): Ideal conditions, good physical fitness, well experienced with a lot of dives in the near past 0 (P0): Ideal conditions. Default
  • +1 (P1): Some risk factors or conditions exist
  • +2 (P2): Several risk factors or conditions exist

Wie geht es jetzt weiter?

Viele Fakten, viele Modelle, wenig ist sicher… Und es geht sogar noch weiter: Aktuelle Forschungsergebnisse scheinen Teile der Blasenmodelle zu bestätigen. Aber auch ganz viele andere, individuelle Faktoren haben einen viel größeren Einfluss auf die persönliche Dekompression, als bisher gedacht. Deshalb unterhalten wir uns in der kommenden Folge über die persönliche Dekompression und wie wir sie optimieren können.

Unsere Literaturliste zum Thema Dekompression: (für alle Folgen gleich)