Wie Ist Denn Das Mit Dekompression?

Posted on Friday, Jun 2, 2023
Wir haben alle schon von No Deco Dives und No Deco Limits gehört aber was passiert, wenn wir länger oder tiefer tauchen wollen? In der aktuellen Folge reden wir über die Geschichte der Dekompressionsforschung, wieso jeder Tauchgang ein Deco-Tauchgang ist und was es mit den verschiedenen Modellen auf sich hat, die wir in den kommenden Folgen näher anschauen werden.

Show Notes

Disclaimer: Die in diesem Podcast getätigten Aussagen spiegeln lediglich die Meinungen der Produzenten wieder. Obwohl wir die Aussagen im Podcast reflektiert und nach Möglichkeit auf der Basis wissenschaftlicher und technischer Standards treffen, bleibt die verantwortungsbewusste Nutzung dieser Informationen dem Hörer überlassen! Taucht nicht über eure eigenen Grenzen und der eurer Buddies! Haltet euch an eure Zertifizierung und besucht praktische Trainings und Kurse, um eure taucherischen Fähigkeiten zu verbessern.

Dekompression kann kompliziert erscheinen…

Wie lang soll denn die Grundzeit sein? Und mit was für einem Gasgemisch bin ich unterwegs? Und welche Dekogase nehmen wir? Und welchen Gradientenfaktor verwenden wir? Und wenn dann noch ein Rebreather Taucher dabei ist und der sogar noch ins Bailout muss…. Uiuiui…

Aber fangen wir nochmal ganz von vorne an…

Viele Feedbacks haben uns erreicht, dass wir uns mal dem Thema “Dekompression” annehmen sollen. Das machen wir natürlich gerne - irgendwie hatten wir das sowieso schon länger vor. Da das Thema allerdings etwas umfangreicher ist, gibt es hierzu eine kurze Serie. Die kommenden vier Folgen erscheinen im Abstand von 14 Tagen.

Die Geschichte der Dekompressionsforschung

Die ersten Beobachtungen zur Dekompression gab es ca. 1630 durch Robert Boyle. Er stellte im Tierversuch die Auswirkungen von zu schneller Dekompression in einer Druckkammer fest. Gut überliefert ist die Beobachtung von Gasblasen in einem Schlangenauge.

Um 1900 wurde die Dekompression auch praktisch relevant: Bei Brückenbauarbeiten wurden Senkkästen, sogenannte “Caissons” eingesetzt, in denen unter Druck trocken gearbeitet wurde. In vielen Fällen erkrankten die Arbeiter nach langen Schichten beim Aufstieg an die Oberfläche. Daher kommt bis heute der Begriff “Caisson-Krankheit” und auch der englische Begriff “The Bends” leitet sich aus der damaligen Schonhaltung der Arbeiter bei Gelenkschmerzen ab.

Paul Bert stellte ebenfalls Forschungen zum Thema an und stellte den Zusammenhang mit der Löslichkeit von Gasen unter Druck her. Um 1860 sorgten die Forschungen von John Scott Haldane für die Erkenntnis, dass Gewebe eine gewisse Übersättigung tolerieren. Haldane erkannte außerdem, dass die Auf- und Absättigung in sogenannten Halbwertszeiten erfolgt, d.h. am Anfang sehr schnell passiert und später immer langsamer wird.

Robert Workman von der Navy Experimental Diving Unit NEDU forschte um 1937 weiter zu dem Thema, führte deutlich konservativere Übersättigungsfaktoren ein und führte eine Gleichung ein, mit der die Dekompression und Nullzeit relativ schnell berechnet werden konnte. Dadurch konnten (noch von Hand) umfangreiche Tauchtabellen erstellt werden.

Um 1970 stellte Albert Bühlmann in Zürich Forschungen speziell zum Tieftauchen und zum Tauchen in Höhenlagen (Bergseen) an. Treibende Kraft waren dabei die zunehmenden Offshore-Arbeiten in großer Tiefe sowie die Bedürfnisse der Schweizer Armee. Die von ihm etablierten Algorithmen ZHL “Zürich Limits” sind bis heute in Gebrauch und die Grundlage vieler Berechnungen. Das bekannteste Modell ist das ZHL-16, wobei es verschiedene Variationen gibt. Aufgrund der Bemühungen des Tieftauchens bezog er in seine Überlegungen außerdem Helium ein. Zudem hat er seine Überlegungen mit Freiwilligen durch Experimente sowohl in der Druckkammer als auch im Wasser evaluiert. https://www.srf.ch/play/tv/karussell/video/tiefsee-tauchen?urn=urn:srf:video:35da8007-7d67-44e8-a2a1-3f85f23b4310

Was passiert während dem Tauchgang mit dem Körper?

Man kann zwischen drei Phasen unterscheiden: Der Aufsättigung (während dem Abtauchen), der Sättigung (wenn man sehr lange auf Tiefe ist) und der Übersättigung / Absättigung während dem Auftauchen. Grundlage sind:

  • Das Gesetz von Dalton, welches den Partialdruck eines Gases in Abhängigkeit von der Zusammensetzung und dem Gesamtdruck beschreibt.
  • Das Gesetz von Henry, welches die Löslichkeit in einer Flüssigkeit in Abhängigkeit vom Partialdruck beschreibt.

Das bedeutet für die Praxis: Es löst sich mehr Gas in der Flüssigkeit, wenn entweder mehr Prozent im Gasgemisch vorhanden ist oder der Druck höher ist.

Während des Abtauchens vergrößert sich der Umgebungsdruck und die Löslichkeit des Stickstoffs in den Körperflüssigkeiten nimmt zu. Der Körper beginnt, aufzusättigen. Das passiert in sogenannten Halbwertszeiten, d.h. die Hälfte des Ausgleichs erfolgt in der Zeit X. Die nun verbleibende Differenz wird erneut zur Hälfte in der Zeit X ausgeglichen usw. Der Ausgleich erfolgt also mit der Zeit immer langsamer.

Sobald man nun auf einer Zieltiefe angekommen ist und lange genug dort verbleibt, wird irgendwann das Gewebe entsprechend dem Druck gesättigt sein und es erfolgt kein weiterer Ausgleich. Dieser Zustand ist in der Regel nach 6 Halbzeiten erreicht. Beim Sporttauchen erreichen wir eigentlich nie den Zustand der Sättigung aller Gewebe, da dieser einige Zeit benötigt. Relevant ist das allerdings beim Sättigungstauchen zur Arbeit in großen Tiefen.

Beim Auftauchen nimmt nun der Gesamtdruck ab und somit reduziert sich auch die Löslichkeit der Gase im Gewebe. Diese müssen nun vom Gewebe wieder ins Atemgas transportiert werden, um dort abgeatmet zu werden. Man spricht von der Phase der Übersättigung, weil im Gewebe mehr Gase vorhanden sind, als dort eigentlich gelöst sein sollten. Der Abtransport erfolgt erneut in den sogenannten Halbwertszeiten, d.h. der Ausgleich erfolgt am Anfang recht schnell und später langsam. Das Ziel ist es nunmehr, die Übersättigung beim Auftauchen möglichst hoch zu halten, damit der Abtransport der Gase schnell erfolgt und man gut absättigt. Man kann also sagen: Die Übersättigung ist die treibende Kraft der Absättigung. Das Problem dabei: Ist die Übersättigung der Gewebe zu hoch, entstehen Gasblasen, welche dann Probleme machen können und ein Dekompressionssyndrom DCS verursachen können. Außerdem ist der Körper unterschiedlich gebaut: Manche Gewebe sind gut durchblutet, manche schlechter und manche sehr schlecht. Es brauchen also alle Gewebe eine unterschiedliche Zeit, um das Gas abzugeben. Man spricht von schnellen und langsamen Geweben. In den Rechenmodellen wird das durch die unterschiedlichen Gewebskompartimente mit unterschiedlichen Halbwertszeiten simuliert. Wichtig zu verstehen ist: Die im Rechenmodell verwendeten Kompartimente (bspw. 16 Kompartimente beim ZHL-16C) sind eine vereinfachte Darstellung und spiegeln nicht die Realität des Körpers wieder, da auch jeder Körper eine andere Verteilung der Gewebe aufweist.

Das Batterie-Modell

Vereinfacht kann man sich den Körper als eine Art Batterie vorstellen: Beim Abtauchen wird diese mit Stickstoff oder anderen Inertgasen aufgeladen. Beim Auftauchen wird diese entladen. Die Geschwindigkeit der Entladung bestimmt ihr selbst über die Geschwindigkeit des Auftauchens. Das Ziel ist eine möglichst schnelle, aber kontrollierte Entladung der Batterie. Denn was bei zu schneller Entladung passiert, sieht man ja an diversen Handy Akkus ;-)

Was ist denn jetzt eine sichere Übersättigung?

Haldane hatte noch den Faktor 2 angesetzt, Workman später mit dem Faktor 1,58 gerechnet. In den aktuellen Algorithmen wird davon ausgegangen, dass jedes Geweben eine eigene, individuell zulässige Übersättigung hat. Aber viele Faktoren beeinflussen diese Grenze - daher weis man leider nie genau, wo der sichere Wert heute genau liegt. Es geht darum, einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu halten. Man spricht bei dieser rechnerischen Grenze von der “maximalen Übersättigung” oder “kritischen Übersättigung”, welche auch als M-Wert bezeichnet wird.

Was passiert beim Überschreiten des M-Wertes?

Wenn die kritische Übersättigung überschritten wird, dann ist die Menge des vorhandenen Gases so hoch, dass dieses nicht mehr gelöst bleiben kann. Es entstehen also Gasblasen in einer Flüssigkeit des Körpers. Je nachdem, wo diese Gasblasen entstehen, können sie unterschiedliche Probleme verursachen: Schmerzen in Gelenken, Hautveränderungen in kleinen Blutgefäßen in der Hautschicht oder auch einen Schlaganfall, wenn die Gasblasen ins Gehirn transportiert werden. Tatsächlich kann man mittlerweile allerdings nachweisen, dass bei fast jedem Tauchgang kleine Gasblasen, insbesondere im venösen Teil des Blutkreislaufs, entstehen. Der Körper scheint diese in vielen Fällen in einer gewissen Menge ohne Probleme zu tolerieren. Man redet von sogenannten “subklinischen Blasen”. Wenn eine gewisse Menge an Blasen erreicht ist, dann erzeugt das im Körper eine Reaktion, die sehr unspezifisch sein kann: Man fühlt sich sehr müde, hat Muskelschmerzen. Das ist dann de facto schon ein leichtes Dekompressionssyndrom. Und wenn man ganz ehrlich ist: Viele von uns kennen solche Beschwerden nach langen Tauchtagen, ohne jemals zu feste darüber nachgedacht zu haben.

Der Mythos “No Deco Dive” und die Aufstiegsgeschwindigkeit

Während jedem Tauchgang findet eine Kompression und Dekompressions statt. Auch wenn der Tauchgang noch so flach ist… Viel relevanter ist die Frage: Ist die stattfindende Dekompression schon so relevant, dass ich besondere Vorsicht walten lassen muss? Vielleicht wäre es weniger verwirrend, von einem “Nullzeittauchgang” oder einem “No-Stop Dive” zu sprechen. Auch der Begriff der Nullzeit kann jedoch sehr verwirrend sein, denn die Nullzeit ist von vielen Faktoren abhängig. Einer der relevantesten Faktoren ist hier die Aufstiegsgeschwindigkeit. Bei genauer Betrachtung stellt man fest, dass die verbreitete Aufstiegsgeschwindigkeit von 9 Meter / Minute nur wenig durch Studien belegt ist und vielmehr aus Verhandlungen zwischen Militär- und Sporttauchverbänden resultiert.

Aus unserer Erfahrung: 9 Meter pro Minute sind schon zügig und es braucht schon etwas Training, um diesen Wert einzuhalten.

Der klassische Safety-Stop dient vor allem dazu, diese rasche Aufstiegsgeschwindigkeit vor der Oberfläche nochmal etwas abzubremsen und auch Bühlmann hatte bei seinen Experimenten immer einen Stop von einer Minute eingerechnet, um die Aufstiegsgeschwindigkeit gegen Ende zu verlangsamen.

Das wird allerdings im Sporttauchen oft anders gelehrt und gelebt: Es wird auf 5 Meter getaucht, genau die drei Meter Sicherheitsstopp abgesessen und danach mittels BCD der Express-Fahrstuhl zur Oberfläche genommen.

Das Problem dabei: Der prozentual größte Druckunterschied findet genau unter der Oberfläche statt, weshalb diese Phase in der Dekompression besonders relevant ist.

Ein alternativer Ansatz ist es, nach dem Sicherheitsstopp möglichst langsam aufzutauchen. Das kann man auch als Kontest laufen lassen. Ein weiterer Ansatz ist die “Minimal Deco”: 1 Minute auf 9 Metern, 2 Minuten auf 6 Metern, 3 Minuten auf 3 Metern. Hierdurch wird man nach oben hin langsamer. Letzten Endes: Wir sind doch im Normalfall alle gerne im Wasser und bei korrekter Gasplanung ist am Ende vom Tauchgang noch ordentlich Gas übrig. Was hindert mich jetzt daran, einen Sicherheitsstopp zu verlängern und Fischchen zu schauen?

In der nächsten Folge geht es dann im Speziellen um die Sättigungsmodelle.

Unsere Literaturliste zum Thema Dekompression: (für alle Folgen gleich)