Drei Strikes - Ich Bin Raus

Posted on Tuesday, May 2, 2023
Die Woche war stressig, zuhause warten die Kinder, auf der Autofahrt zum Tauchplatz war wieder einmal Stau und schlecht geschlafen hat man sowieso. Und wenn man ganz ehrlich ist, hat man eigentlich gar keine Lust, sondern wäre eigentlich lieber auf dem Sofa… Aber der Buddy ist extra so früh aufgestanden… Wann und wie kann man einen Tauchgang abbrechen - damit beschäftigen sich Martin und Jan in der aktuellen Folge.

Show Notes

Disclaimer: Die in diesem Podcast getätigten Aussagen spiegeln lediglich die Meinungen der Produzenten wieder. Obwohl wir die Aussagen im Podcast reflektiert und nach Möglichkeit auf der Basis wissenschaftlicher und technischer Standards treffen, bleibt die verantwortungsbewusste Nutzung dieser Informationen dem Hörer überlassen! Taucht nicht über eure eigenen Grenzen und der eurer Buddies! Haltet euch an eure Zertifizierung und besucht praktische Trainings und Kurse, um eure taucherischen Fähigkeiten zu verbessern.

Die Woche war stressig, zuhause warten die Kinder, auf der Autofahrt zum Tauchplatz war wieder einmal Stau und schlecht geschlafen hat man sowieso… Und wenn man ganz ehrlich ist, hat man eigentlich gar keine Lust, sondern wäre eigentlich lieber auf dem Sofa… Aber der Buddy ist extra so früh aufgestanden…

Verschiedene Faktoren wirken auf uns als Taucher ein, verbessern oder verschlechtern unsere Fähigkeiten. Sich darüber klar zu werden und bewusst Einfluss zu nehmen, wird aber leider kaum besprochen. Und im Zweifelsfall kann eine solche Konstellation von Bedingungen auch dazu führen, einen Tauchgang auszusetzen. Aber was sind eigentlich solche Faktoren? Und wie kann man diese bei sich selbst bemerken?

Das Modell mit den “grünen und roten Kügelchen”

Die grünen und roten Kügelchen dienen als Sinnbild, um sich selbst die eigenen kognitiven Ressourcen und Stressfaktoren zu verdeutlichen. Je weniger Ressourcen man hat, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man unaufmerksam ist und unter (zusätzlichem) Stress nicht richtig performen kann. Grüne Kügelchen sind dabei Dinge, die positiven Stress ausüben: Das ruhige Wochenende, der Bonus der Firma, der anstehende Urlaub… Rote Kügelchen üben negativen Stress aus und zehren an meinen Ressourcen: Das überzogene Bankkonto, der Streit mit Freund oder Freundin, das Projekt, das auf der Arbeit nicht läuft.

Ich kann mir jetzt selber verdeutlichen, wie viele grüne und rote Kügelchen ich habe. Und ich kann das auch mit meinem Buddy kommunizieren. Dabei reicht (wenn derjenige das Modell kennt) die Aussage “viele rote Kügelchen heute” und ich muss diese noch nicht mal im Detail kommunizieren. Stress wird ja auch unter Druck nicht besser…

Im Gegensatz zum Slogan “…just add water” mag das mit Stressfaktoren dann doch nicht so richtig funktionieren: Für viele von uns stellt das Tauchen einen zusätzlichen Faktor da, der Aufmerksamkeit zieht und somit geringere mentale Kapazitäten für die sowieso schon existierenden Probleme lässt. Anders ausgedrückt: Probleme werden unter Druck größer. Viele von uns kennen das auch von der Arbeit: Wenn der Auszubildende heute eh nur Schwachsinn anstellt, dann wird das nach dem ersten Anschiss nicht besser, sondern meistens schlimmer. Der Grund ist auch hier ähnlich: Das Anmeckern und der daraus resultierende zusätzliche Stress ziehen geistige Kapazitäten, welche dann für die originalen Probleme nicht mehr zur Verfügung stehen.

Die “Drei Strikes”

Beim Modell der “Drei Strikes” ist die Grundüberlegung, dass man der akuten Stressfaktoren bewusst wird: Stressfaktore kann dabei vieles sein: Die nicht gefüllten Flaschen, der Stau auf der Fahrt zum Tauchplatz, der vergessene Unterzieher…

Dabei kann alles ein “Strike” sein, was den Taucher beeinflusst und mental mit unter Wasser genommen wird. Die Überlegung ist also sehr individuell und jeder muss sich seiner Stressfaktoren sehr bewusst sein. Am Anfang hilft die Grundregel: Alles, was nicht zeitnah zu lösen ist, ist ein Strike. Dabei kann auch der Stress durch ein Problem selbst der eigentliche Strike sein.

Wenn eine gewisse Anzahl von Strikes zusammengekommen ist, ist der mentale Load so weit angewachsen, dass die Leistung unter Wasser gefährdet ist und es sollte ernsthaft erwogen werden, den Tauchgang auszusetzen. Wir setzen bei uns diese Grenze bei drei Strikes an…

Ein Unfall entsteht ja meistens nicht aus einem Problem alleine

In der Analyse von Zwischenfällen zeigt sich meistens, dass der eigentliche Unfall nicht aus einem Problem alleine entstanden ist. Meistens führen mehrere Probleme in einer Verkettung (“Error Chain”) zum kritischen Ausgang der Situation. So kann man meistens den Verlust einer Tauchmaske alleine noch kompensieren und auch die leere Tauchflasche alleine kann meistens durch Atemgasspende, etc. kompensiert werden. Wenn aber noch schlechte Sicht dazu kommt und der Buddy nicht reagiert, dann ist der kritische Ausgang der Situation zum Greifen nahe. Auch die Performance des einzelnen Mitglieds der Tauchgruppe oder der Tauchgruppe als Gesamtes kann einer oder mehrere der Teilstücke eines kritischen Zwischenfalls sein. Je mehr Probleme schon vor dem Tauchgang bestehen, desto weniger Reserven stehen unter Wasser für die Problemlösung bereit.

Das “Swiss-Cheese Modell”

Das Swiss-Cheese-Modell beschreibt, wie wir versuchen, kritische Zwischenfälle zu verhindern. Dabei liegen, wie Käsescheiben mit Löchern, verschiedene Sicherheitsmechanismen übereinander. Natürlich gibt es in jedem Mechanismus Lücken, welche sich in Form der Käselöcher hin und her bewegen. Nur wenn auf allen Ebenen die Löcher übereinander liegen, dann entsteht ein kritischer Zwischenfall. In unserem Kontext sind menschliche Faktoren, wie Übermüdung und Stress, genau solche Löcher in dem Modell. Indem wir unter Stress tauchen gehen, fügen wir dem Modell ein großes Loch hinzu. Wenn wir aber auf den Tauchgang verzichten, dann flicken wir für den Rest des Teams ein Loch im Modell und verringern das Risiko eines kritischen Zwischenfalls. Für die Interessierten gibt es hierzu einen Vortrag von Gareth Lock:

Probleme entstehen nicht alle auf einmal und nicht alle Probleme existieren vor dem Tauchgang

Natürlich gilt das Swiss-Cheese-Modell nicht nur für die Zeit vor dem Tauchgang. Auch unter Wasser können unerwartet Probleme auftreten. Es macht Sinn, diese Probleme dann auch zeitnah zu lösen und sie nicht durch den Rest des Tauchgangs zu ziehen. Denn nur, wenn ich das Problem gelöst habe, mache ich erneut meine Ressourcen frei für zusätzliche Situationen, die auftreten können. Ich sorge also durch die aktive Problemlösung dafür, dass ich “nicht weiter durch die Käsescheiben rutsche”.

Es gilt der Grundsatz: Probleme sollte ich mit dem Team kommunizieren. Nur dadurch kann ich die zusätzliche Kapazität des Teams beanspruchen und ermöglichen meinen Buddies, bei der Lösung mitzuwirken. Das schont meine eigenen Kapazitäten und lässt mir Freiraum für die Problemlösung selber. So können meine Buddies während dem Rauskramen der Ersatzmaske für die Tarierung schauen… Und manche Probleme kann der Buddy auch besser lösen, wie z.B. den abgekoppelten Inflatorschlauch.

“Aber exponiere ich mich nicht total, wenn ich den Tauchgang abbreche?”

Die Sorge, sich beim Ansprechen von Problemen zu exponieren, wird vielen von uns bekannt vorkommen. Und es erscheint doch sehr natürlich, gerade als unerfahrener Taucher, eher auf die Meinung der restlichen Gruppe zu hören und die eigenen Sorgen zu unterdrücken. Das ist schade, denn auch durch diesen Stressfaktor werden ja Sicherheitsreserven vermindert.

Aus der Erfahrung macht es jedoch Sinn, seine eigenen Bedenken vor dem Tauchgang anzusprechen und zumindest wir hatten damit bisher nur gute Erfahrungen und haben bei Bedenken unheimlich viel Support von Erfahrenen erhalten. Versucht euren Buddies in solchen Fällen Unterstützung anzubieten und akzeptiert aber auch den Ausstieg eines Buddies aus dem Tauchgang.

Der Plan B

Man kann als Tauchgruppe vorab viel Stress eliminieren, wenn man sich vorab einen Plan B überlegt, für den Fall, dass die Mehrheit der Gruppe nicht tauchen will oder kann. Das kann ein nahe gelegenes Restaurant sein, ein anderer Tauchplatz in der Nähe oder auch einfach nur der gleiche Tauchgang etwas flacher. Aus unserer Erfahrung macht es Sinn, gerade bei technischen Tauchgängen neben den teuren Gasmischungen auch einfach Luft dabei zu haben. So hat man am Tauchtag die Option einfach flach zu gehen… Und natürlich kann man auch Tauchgruppen splitten: 2 gehen flach, 2 gehen tief. Das gleiche gilt für das Self-Reliant Tauchen: Durch die Option des Solo-Tauchens ist der Buddy nicht geistig “gezwungen”, mit mir ins Wasser zu gehen. Das eliminiert Stressfaktoren.

Die Wahl der Buddies

Durch die Auswahl der geeigneten Buddies kann ich mir von vornherein viel Stress ersparen: Ich erwarte von meinen Tauchpartnern, dass diese einen Tauchgangsabbruch oder auch meine Bedenken akzeptieren, genauso wie auch ich andere Bedenken oder Abbrüche akzeptiere… Genauso erwarte ich von meiner Tauchgruppe, dass ich keine Angst haben muss, mich zu exponieren. Ganz im Ernst: Tauchen ist mein Hobby. Ich komme am Wochenende zu den übelsten frühen Zeiten zum Tauchplatz, weil ich eine gute Zeit haben will. Radikale Tauchpartner, die mir hierbei Unsicherheit und Stress produzieren, gehören für mich nicht in die Wochenendplanung und ich persönlich kann auch auf solche Persönlichkeiten in meinem Leben gerne verzichten. Es liegt an euch, mit welchen Tauchgruppen ihr euch umgibt. Wenn ihr aber Angst haben müsst, einen Tauchgang wegen eurer Gruppe oder dem Buddy abzubrechen oder eure Bedenken zu kommunizieren, dann solltet Ihr aus meiner Sicht die Wahl eurer Tauchpartner überdenken.

Das Punktesystem - Will ich ins Wasser?

Manchmal kann man aber auch die eigene Motivation nur schwer ausdrücken und es gibt gar keine so klaren Faktoren, die einen zum Abbruch des Tauchgangs drängen würden. Das ist dann auch manchmal nicht so einfach zu erfassen und oft wird man sich dessen auch erst bewusst, während man am Wasser steht… Wie bringe ich das jetzt meinen Buddies bei?

Bei uns hat sich mittlerweile eine Art Punktesystem etabliert. Dabei werden nur ganze Punkte vergeben. Die Skala reicht von 5/5 Punkte (Ich muss rein ins Wasser) über 3 Punkte (eher ja) über 2 Punkte (wenn du unbedingt willst) bis 1 Punkt (lieber gar nicht). Dabei ist es spannend, wie oft sich herausstellt, dass eigentlich gar keiner so richtig Lust hat. Schon öfter hat das bei uns zu exzessivem Frühstücken und späteren Tauchgängen geführt.

Woran will ich mich erinnern?

Das Spannende an abgebrochenen Tauchgängen: Sowohl Martin als auch Jan erinnern sich eigentlich nach abgebrochenen Tauchgängen immer an wunderschöne Zeiten im lokalen Restaurant, gute Pizza, guten Kaffee, super Kuchen. Und keiner von uns erinnert sich an den Ärger über einen verpassten Tauchgang… Außerdem ist an einem solchen Tag die Idee für diesen Podcast entstanden…

Will ich mich stattdessen wirklich lieber an einen schlechten Tauchgang erinnern und hinterher frustriert sein wegen meiner eigenen schlechten Performance?

Die Konstellation im neuen Buddy-System

Nicht mit jedem Buddy hat man gleich die Basis, um gegenseitig den Stresspegel einzuschätzen oder zu wissen, wie offen man sein kann. Bei uns hat sich auch hier bewährt, offen zu kommunizieren. Jan’s Grundregel hierzu Lautet: “Jeder darf zu jedem Zeitpunkt den Tauchgang abbrechen - ohne Angabe von Gründen”. Das kommuniziere ich auch mit jedem neuen Buddy. Übrigens auch jedem Instruktor, denn auch der ist am Ende ein Buddy. Eine andere Lösung kann es sein, dem Buddy eine Art “schuldfreien Ausstieg” anzubieten und klar zu kommunizieren: “Ich bin o.k. wenn wir jetzt abbrechen - ich habe auch nicht die riesige Lust.”

Das Lehrer-Schüler Verhältnis

Ob man auch als Instructor und Divemaster einfach so einen Tauchgang abbrechen kann, hängt natürlich von der lokalen Philosophie des Centers ab. Natürlich sollte ich hier wahrscheinlich sagen, dass man auch als Lehrer immer den Mut haben sollte, einen Tauchgang zu skippen. Wir alle wissen aber: In der Realität sieht das manchmal anders aus…

Eine mögliche Lösung kann es sein, andere Instruktoren im Hintergrund zu haben (Kontakte pflegen), die im Zweifelsfall einspringen können. Das basiert im Idealfall auf Gegenseitigkeit…

Es kann eine gute Angewohnheit sein, bei Kursen einen Reservetag zu planen. An diesem Tag ist dann entweder frei, wenn vorab alles glatt läuft oder eben der zusätzliche benötigte oder verschobene Tauchgang. Das bietet sich gerade im Urlaub an, wenn das Nachholen des verpassten Kursteils nicht so einfach ist. Und im Zweifelsfall liege ich noch einen Tag am Strand…

Auch als Kursteilnehmer versuche ich, mir aktiv diesen Tag zu planen und biete auch dem Instruktor bei Bedarf aktiv an, den Tauchgang zu verschieben. Den Tauchgang abzubrechen heißt nicht, dass man außen vor ist…

Auch wenn man einen Tauchgang abbricht, heißt das nicht, dass man traurig alleine nach Hause fahren muss: Man kann genauso das Team unterstützen, Flaschen tragen helfen, vorbereiten, etc. und hinterher gemütlich zusammen sitzen. Das Witzige: Bei technischen Problemen würde sich ja auch niemand stören…

Die Zusammenfassung

Wir sollten uns alle mehr und öfter trauen, Tauchgänge abzubrechen und zu verschieben. Das macht das Erlebnis für alle Beteiligten besser und sicherer. Respektiert die Grenzen der anderen Taucher und unterstützt euch gegenseitig!